Kosakenheld Masepa: Warum er in Russland als Verräter gilt - WELT (2024)

Als polnischer Adliger machte Iwan Masepa ab 1669 bei den Kosaken Karriere. Zu ihrem Hetman aufgestiegen, wollte er ihre Gemeinschaften aus russischer Dominanz befreien. Das machte ihn nicht nur in der Ukraine zu einem romantischen Helden.

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Ein junger Mann ist rücklings nackt auf ein Pferd gefesselt, das in die Steppe getrieben wird. So rächte sich ein polnischer Adliger am Verführer seiner jungen Frau. Und so beginnt eine Biografie, die Nationalgeschichte und romantische Legende wurde, obwohl sie mit der Flucht und dem Tod im Exil endet. Es ist die Geschichte des Kosakenhetmans Iwan Masepa (oder Mazepa). Für die Russen ist es die Geschichte eines schmählichen Verrats. Für die Ukrainer ein Heldenmythos, eine Erzählung von Stolz und Nationalbewusstsein.

Deshalb ziert Masepas Porträt den 10-Hryvnia-Schein. Deshalb wurden ihm in Poltawa und Kiew, in Baturyn und Tschernihiw Denkmäler errichtet. Und deshalb hat ihn der Brite Lord Byron schwärmerisch in einem langen Gedicht besungen, während ihn Alexander Puschkin in seinem Poem „Poltawa“ schmähte, ihm Franz Liszt mit einer „Sinfonischen Dichtung“ huldigte und Peter Tschaikowsky ihn operngerecht zugrunde gehen ließ.

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Kosakenheld Masepa: Warum er in Russland als Verräter gilt - WELT (1)

Iwan Masepa wurde in Mazepyncy, rund 80 Kilometer südwestlich von Kiew geboren. Wahrscheinlich wurde er um das Jahr 1639 geboren. Bis 1695 lag das Landgut der recht wohlhabenden adligen Familie in Königreich Polen, ehe es bei der Dritten Polnischen Teilung dem Zarenreich zugeschlagen wurde. Masepa war also von der Herkunft, von der Ausbildung an der Akademie in Kiew und dem Jesuitenkolleg in Warschau sowie wegen seines Dienstes am Hof des polnischen Königs Johann II. Kasimir keineswegs ein typischer Kosak.

1669 verband er sich jedoch mit Petro Doroschenko, dem Hetman der „rechtsufrigen Kosaken“, die westlich des Dnjepr siedelten. 1677 wurde er jedoch auf der Krim von Iwan Sirko abgefangen und an Doroschenkos politischen Gegner Iwan Samojlowytsch, dem Hetman der „Linksufrigen“, ausgeliefert. Dem diente er anfangs als Hauslehrer seiner Kinder. Weil er sich aber als gebildet und geschickt erwies, gelang es ihm recht schnell, in die militärische Hierarchie dieser freien Wehrbauern aufgenommen und bei diplomatischen Missionen eingesetzt zu werden.

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Besonders nach Moskau, wo er das Vertrauen der Regentin Sophia und ihres Favoriten Fürst Wassili Golizyn gewann. Die sorgten dann, nachdem Samojlowytsch die Schuld an Niederlagen im Russisch-Türkischen Krieg wie verräterische Kontakte zum feindlichen Krim-Khanat nachgesagt und er deswegen abgesetzt und verbannt wurde, dass die Kosaken Masepa zum Hetman wählten.

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Nachdem der erst siebzehnjährige Zar Peter I. 1689 seine Halbschwester entmachtet und Golizyn nach Sibirien verbannt hatte, stieg er zu einem der engsten Berater auf, der den Zaren fortan mit seinen Truppen bei mehreren Feldzügen unterstützte. „Masepa ist auch allhier, und wird sehr herrlich tractieret, auch von dem Czaren respectieret und geehret“, berichtete 1702 der österreichische Gesandte aus Moskau nach Wien.

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Nur wenige Jahre später war es damit jedoch vorbei. Nachdem er eine Revolte der rechtsufrigen Kosaken niedergeschlagen hatte, konnte sich Masepa als Hetman der beiden großen Kosakenverbände etablieren. Damit wuchs sein Interesse, sich aus der Moskauer Vormundschaft zu lösen und einen eigenen Staat im „Grenzland“, der Ukraine, zu gründen. Die Möglichkeit dazu bot ihm der Große Nordische Krieg (1700–1721), in dem Karl XII. von Schweden vor allem gegen Russland, Sachsen-Polen und Dänemark kämpfte.

Da der Zar Anstalten machte, das Gebiet rechts des Dnjepr seinem Bündnispartner August II. von Polen zu überlassen, verbündete sich Masepa mit dem Schwedenkönig, dem er angeblich ein Heer von 100.000 Mann für seinen Feldzug gegen den Zaren versprach. Doch die Kosaken spielten nicht mit. Nur etwa 7000 hielten zu dem Hetman. Karl aber beging den Fehler, in die Weite Russlands zu ziehen. Durch Nachschubmangel geschwächt, wurden er und Masepa im Juli 1709 bei Poltawa, 350 Kilometer östlich von Kiew, vernichtend geschlagen.

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Die Verlierer konnten sich mit nur wenigen Truppen ins Osmanische Reich retten, wo ihnen Bender im abhängigen Fürstentum Moldau als Exil zugewiesen wurde. Dort starb Masepa bereits im September 1709. Von einem Nachruhm, gar einer Heroisierung des Hetmans konnte man damals gewiss nicht sprechen. Für die Russen war – und bleibt er – ein Verräter. Der Zar inszenierte deshalb, noch vor Poltawa, eine symbolische Hinrichtung, bei der Masepa als Puppe geschändet und aufgeknüpft wurde. Seine Hauptstadt Baturyn wurde erobert. „Wir verbrannten die Stadt mit allem darin“, berichtete der Zar.

Außerdem stiftete er als Spott-Symbol den „Judas-Orden“, eine vier Kilo schwere Medaille mit dem Bild des erhenkten Judas, die 30 Silberlingen zu seinen Füßen. Der orthodoxe Metropolit von Kiew tat ein Übriges, indem er in einem Bannfluch Masepa als Verräter der russischen Kirche verurteilte. Dieses Anathema wurde bis 1869 zu jedem Fest der Orthodoxie wiederholt.

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Selbst die Schweden sahen in Masepa den Schuldigen für die Niederlage ihres Königs. Denn „hätte unser König dem Mazeppa nicht gefolget / folglich die Belagerung von Pultowa unterlassen ... so würden wir allem Ansehen nach / diesem Unglück entgangen seyn.“

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Das Bild begann sich jedoch bereits wenige Jahrzehnte nach Masepas Tod aufzuhellen. Das verdankte sich keinem Geringeren als dem französischen Philosophen Voltaire, der in seiner „Geschichte Karls XII.“ (1730) eine romantische Episode aufgriff. Danach hatte ein Höfling, der mit dem jungen Masepa um die Gunst des polnischen Königs konkurrierte, die Geschichte aufgebracht, dieser habe eine Affäre mit einer gewissen Madame Falbowska gehabt. Aus Rache ließ ihr Mann Masepa nackt auf ein Pferd binden, das in die Steppe getrieben wurde. Nach drei Tagen wurde er von Kosaken gerettet, wo er bald eine steile Karriere machte.

Mit einer gehörigen Portion Machiavellismus, versteht sich. Aber das irritierte die Romantiker nicht. Sie hielten sich an Voltaires Erzählung. Und nachdem Lord Byron sie in einem Gedicht ausgemalt hatte, fanden auch die Maler daran Gefallen. Die Gemälde und Graphiken – bis hin zu Bildchen in Schokoladenpackungen oder Zigarettenmarken – sind Legion. Was Pasek erdacht hatte, um Masepas Niederlage in Liebesdingen an die große Glocke zu hängen, erzielte, indem es das Durchhaltevermögen und die Leidensfähigkeit als Tugend eines Helden schilderte, die gegenteilige Wirkung.

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Mit der „Geschichte der Ukraine und der ukrainische Kosaken“ von Johann Christian Engel, die 1796 erschien, wurde erstmals mit wissenschaftlichem Anspruch dargestellt, Masepa habe durch das Bündnis mit Karl XII. gehofft, einen unabhängigen Kosakenstaat beiderseits des Dnjepr gewinnen zu können. Nicht zufällig wurden jene, die im 19. Jahrhundert für einen ukrainischen Nationalstaat eintraten als „mazepincy“ tituliert, um sie – aus russischer Sicht – als Verräter an der Idee von Groß-Russland zu brandmarken.

Dahinter steht die neuerdings wieder virulente – und von Putin stets wiederholte – Geschichtsdeutung, „sowohl Russen als auch Ukrainer und Weißrussen sind die Erben des alten Russland, das der größte Staat in Europa war“, denn „Russen und Ukrainer sind ein Volk“. Nur wird dabei – wie bereits zur Zaren- wie zur Sowjetzeit beim „Sammeln russischer Erde“ - übersehen, dass „Staat“ und „Volk“ zwei Paar Schuhe sind – und das ukrainische Paar das russische mehr als einmal zum Stolpern brachte.

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Author: Rubie Ullrich

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